Talentschmiede

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107: Flüchtlinge in Deutsch unterrichten

March 30, 2016

Das Thema Flüchtlinge ist überall in den Medien. Und dass ein vernünftiges Sprachtraining das A und O für eine reibungslose Integration ist, sollte jedem klar sein. Eigentlich haben wir ja sehr viel Erfahrung mit Zuwanderung. Schon seit den 60er Jahren integrieren wir Türken, Spanier, Italiener, Griechen und viele andere Völker in unser Land. Wir kennen uns also gut aus – oder vielleicht doch nicht?

Was sind eigentlich Flüchtlinge

Flüchtlinge oder auch Migranten, na ja, was ist das eigentlich? Es sind Menschen auf der Flucht. Menschen, die ihr Land verlassen und sich bei uns niederlassen. Moment, wenn die sich bei uns niederlassen, dann sind es doch keine Flüchtlinge mehr. Die Flucht ist ja vorüber. Sie sind am Ziel. Also flüchten sie nicht mehr. Sie migrieren auch nicht mehr, denn sie sind ja bereits migriert. Es sind also weder Flüchtlinge noch Migranten. Sie waren es einmal und das ist nun vorbei. Haben wir da vielleicht das falsche Wort gewählt?

Analphabet oder nicht?

Das ist vermutlich eine der größten Hürden, die es als Deutschlehrer zu nehmen gilt. Nachdem ich eine Gruppe von Deutschlernern unterrichtet hatte, die am Anfang weder lesen noch schreiben konnten, fragte mich ein Betreuer: Carsten, wie läuft es denn so mit den Analphabeten? Ich sagte nur, dass es keine Analphabeten gäbe, denn ich hätte sie bereits in unser Alphabet eingewiesen und sie könnten jeden einzelnen Buchstaben schreiben und lesen. Somit sind es keine Analphabeten mehr.

Vorkenntnisse sind hilfreich

Je mehr Bildung, je mehr Kenntnisse, je mehr die Lernenden sich mit irgendetwas intellektuell beschäftigt haben, desto einfach ist es ihnen etwas Neues beizubringen. Und dabei geht es nicht nur um Sprache. Natürlich ebnet die erste Sprache den Weg für die zweite (siehe gleichnamigen Blogartikel), doch auch grundlegende Kenntnisse in Mathematik und anderen Disziplinen sind hilfreich.

So hatte ich zum Beispiel einen Teilnehmer betreut, bei dem ich mir ziemlich sicher war, dass er zum ersten Mal einen Bleistift in seiner Hand hielt. Das ist allerdings die Ausnahme.

Es ist auf jeden Fall beeindruckend, wie schnell auch Menschen mit wenig bis gar keiner Schulbildung die deutsche Sprache erlernen.

Psychologische Barrieren

Vielen dieser Menschen, die auch sogenannten Krisengebieten zu uns kommen, haben Erfahrungen gemacht, die sich vermutlich jeder gern ersparen würde. Wer traumatisiert ist, lernt nicht. Jedoch gilt auch: Wer lernt, ist nicht mehr so stark traumatisiert. Meiner Erfahrung nach hilft ein strukturierter und motivierender Sprachunterricht den Lernenden eine Perspektive zu bieten. Jeder kleine Erfolg in der Kommunikation und Verständigung sowohl innerhalb als auch außerhalb des Unterrichts löst psychologische Barrieren.

Alles in allem macht es mir einen Riesenspaß Jugendliche aus fernen Ländern zu unterrichten. Es ist nicht immer leicht, doch die Erfolge der Lernenden sprechen für sich.