Talentschmiede

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006 Ohne Vorkenntnisse Sprachen verstehen

April 23, 2014

Ich war schon lange nicht mehr in Dänemark. Auch wenn ich gar nicht so weit von der Grenze aufgewachsen bin, so war ich doch meist nur auf Rockkonzerten und wegen der tollen Ferienhäuser im Nachbarland im Norden. Und von der Sprache habe ich so gut wie gar nichts mitbekommen.

Und nun hatten wir drei Tage zum Arbeiten, Ausruhen und auf Sprache achten. Oft wenn wir uns auf dem Erkundungspfad von dänischen Texten begaben - sei es nun die Speisekarte, die Straßenschilder oder das Navigationssystem, dass ich bereits beim Überschreiten der Grenze auf die Landessprache umgestellt hatte - sagte ich Sätze wie "Dort steht, dass ..." oder "Das bedeutet ..." oder "Wir müssen links ab. Das hat doch das Navi gerade gesagt."

Kathrina fragte mich dann, woher ich Dänisch könnte. Und ich sagte nur, dass ich kein Dänisch könnte - außer Øl, Pølser und sonst noch das eine oder andere Wort, dass ich auf Rockkonzerten vor gut 25 Jahren zwangsläufig hatte lernen müssen, weil ich Hunger und Durst hatte.

Wie konnte ich nun also doch Dänisch lesen, ohne Kenntnisse der dänischen Sprache zu haben? Ganz einfach: locker bleiben. Zunächst haben ich nach Wörtern gesucht, die visuell dem deutschen ähnlich sind. Das ist nichts weiter als ein visueller Abgleich von Wörtern. Natürlich sieht Telefonbog aus wie Telefonbog, und wenn dann auch noch der Kontext passt, scheint es auch zu stimmen. Und damit ich es nicht wieder vergesse, mache ich mir gleich eine Eselsbrücke: Ich stelle mir ein dänisches Telefonbuch vor, das gebogen, also zu einem Bögen geformt ist. Telefonbog - so einfach ist das.

Weiter geht es mit Mustern. Pladser sind Plätze. Das ist visuell vielleicht nicht gleich ersichtlich, doch tauchte dieses Wort doch in verschiedenen Kontexten auf. Hier fällt sofort ein vermeintliche Logik von ds = tz auf. Vermeintlich, denn es könnte ja nur zufällig so sein. Ich begebe mich also auf die Suche nach weiteren Ähnlichkeiten bei anderen Wörtern. Ebenso fällt mir Endung -erer auf. Vielleicht ist es auch nur -rer. Und ich scanne weitere Wörter: projekterer, koordinerer, fungerer usw. Ich mache mir dabei keinen Stress. In der Schule wäre jetzt die Aufgabe gewesen, zu einem Ergebnis zu kommen. Ich hingegen lasse mein Unterbewusstsein arbeiten. Ich nehme diese Gemeinsamkeiten bewusst wahr und lasse dann die Information ungefiltert in mein Gehirn. Es wird sich schon "einen Reim draus machen".

Natürlich darf der auditive Kanal nicht zu kurz kommen. "Snakker du dansk", fragt mich die Kellnerin, als ihr ein Wort auf Englisch nicht einfiel. Wahrscheinlich dachte sie, dass ich aufgrund meines nordischen Aussehens doch wohl mindesten etwas Dänisch können müsste. "Snackn" ist Niederdeutsch, also Plattdeutsch, und mit der Sprache bin ich aufgewachsen. Allerdings gibt es Plattdeutsch fast nur mündlich und kaum schriftlich. Ich spreche fließend Plattdeutsch, kann es jedoch weder lesen noch schreiben. Dass ich diese Frage verstanden hatte, war also nur logisch.

Es geht aber auch anders herum. Ich musste also nicht darauf warten, dass jemand etwas sagt, sondern ich kann es mir einfach selbst sagen. Die Wörter, die ich lese, lese ich laut, und zwar mit meiner inneren Stimme. Und ich spreche sie so aus, als ob es niederdeutsche Wörter wären. So kann ich den niederdeutschen auditiven Informationsspeicher meines Gehirns aktivieren. Und siehe da, mehr und mehr Bedeutungen von Wörtern tauchen auf.

Ich spiele das Spiel weiter mit Wörtern, Mustern, Vorsilben, Nachsilben usw., die ich in den verschiedensten Sprachen bereits kennengelernt habe.

Das war ein guter Start in eine neue Sprache, und heute Nachmittag geht serbischen wieder nach Hause.

Farvel Danmark!8V7RTUmk2Hg